Kategorisierungen von analog und digital sind nicht mehr gültig – wir leben bereits im post-digitalen Zeitalter, sagt Jonas Scheiwiller vom Designbüro Lucid. Lucid schafft und bespielt mit ihren Projekten sowohl digitale als auch physische Räume. Für die Volvo Art Session haben sie in Zusammenarbeit mit der Fachrichtung Interaction Design und Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste die Installation “Through Momentum” produziert.
Herr Scheiwiller, die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt werden fliessender. Was bedeutet das für den Menschen und was bedeutet das für die Kunst?
Grundsätzlich bedeutet es eine grosse Veränderung – und Veränderung ist für viele Menschen anstrengend und eher negativ behaftet. Man sträubt sich nicht selten intuitiv gegen die anstehende Veränderung – das ist nicht nur in der Kunst, sondern in allen Lebensbereichen so. Die Kunst bietet allerdings die Möglichkeit, sich kritisch mit Veränderungen auseinanderzusetzen – egal ob es sich um digitale oder analoge Veränderungen handelt.
Welche Rolle kommt den Kunstschaffenden in der Digitalisierung zu beziehungsweise welchen Stellenwert hat Kunst?
Als Kunstschaffender hat man eine gewisse Narrenfreiheit, Dinge zu thematisieren, die vielleicht sonst Tabu sind. Kunstschaffende sollen sich auf kritische Art und Weise mit Themen auseinandersetzen und andere Perspektiven, als sie in den gängigen Medien präsentiert werden, aufzeigen. Das ändert sich durch die Digitalisierung nicht. Was sich ändert, ist der Fakt, dass dem Kunstschaffenden mit der Digitalisierung ein Werkzeug in die Hände gegeben wird, mit dem er seine Arbeit – örtlich gesehen – in einen viel grösseren Kontext setzen kann. Kunstschaffende können so auch dazu beitragen, dass Kunst zugänglicher und weniger elitär wird.
Wird Kunst im gleichen Masse digitaler wie die Gesellschaft oder beobachten Sie auch einen gegenläufigen Trend zurück zum Analogen?
Diese Kategorisierung von analog und digital ist für mich nicht mehr gültig. Wir befinden uns im “post-digitalen” Zeitalter. In diesem Sinne hat sich das Digitale bereits soweit assimiliert, zumindest in gewissen Teilen der Welt, dass es unsere Realität konstituiert. Die Kunst persistiert diese vermeintliche Abkehr vom Analogen natürlich, weil sie nicht an ein Medium gebunden ist.
Welchen Mehrwert bietet digitale Kunst gegenüber analoger Kunst?
Digitale Kunst ist leichter zugänglich und wird breiter diskutiert. Waren Meinungsmacher, ich nenne sie mal Tastemaker, früher auf eine kleine Gruppe reduziert, kann heute praktisch jeder, auch ein Algorithmus, ein Tastemaker sein. Spotify, das mir Lieder vorschlägt, ist nur ein Beispiel von vielen für diese Entwicklung.
In welchem Lebensbereich schätzen Sie die Digitalisierung am meisten und wo wünschen Sie sich eine analoge Welt zurück?
Ich schätze die Delokalisierung, die die Digitalisierung mit sich bringt. Ich kann als digitaler Nomade unterwegs sein und von überall auf der Welt meiner Arbeit nachgehen, das wäre ohne Internet undenkbar. Ich wünsche mir die analoge Welt effektiv nicht zurück.
Sie haben in Kooperation mit Studenten der Zürcher Hochschule der Künste aus dem Departement Design die Installation «Through Momentum» geschaffen. Was war Ihre Motivation, an der Volvo Art Session teilzunehmen und wie hat sich die Zusammenarbeit mit den Studierenden gestaltet?
Die Digitalisierung und neue ökonomische Prinzipien sind grosse Themen, die uns auch in Zukunft noch tangieren werden. Wir wollten diese Themen einmal anders aufgreifen, und uns über ein Kunstwerk damit auseinandersetzen. Die Zusammenarbeit mit den Studierenden war sehr befruchtend und aufs Ganze betrachtet ein grosser Erfolg.