Neue Technologien seien Spielwiesen fürs Experimentieren und voneinander lernen, sagen Joël Gähwiler, Unterrichstsassistent der Fachrichtung Interaction Design und Moritz Kemper, Lehrbeauftragter Interaction Design, beide an der Zürcher Hochschule der Künste. Die beiden forschen im Physical Computing Lab und haben die künstlerische Leitung des Projekt “Through Momentum”.
Die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt werden immer fliessender. Was bedeutet das für den Menschen und was bedeutet das für die Kunst?
Moritz: Als Interaction Designer beschäftigt mich die Dreiecksbeziehung analog-digital-menschliches. Ich möchte die Zugänge zur digitalen Welt so gestalten, dass es die Menschen verstehen, darauf Einfluss zu nehmen. Noch sind wir es hauptsächlich gewohnt, im analogen Raum zu interagieren: Wir lernen in der Kindheit, wie man steht, sitzt, nach etwas greift, etwas manipuliert und so weiter. Genau das versuchen wir auf die digitale Welt zu übertragen. Damit verschmelzen digitale und analoge Realität weiter. Wir sprechen deshalb von Internet of Things. Dort weiss ich nicht mehr, welche Produkte einen digitalen Layer haben, denn ich nehme diese Schicht nicht als solche wahr. Bei einem Smartphone, bei einer Smartphone-App ist mir sehr bewusst, dass es diesen digitalen Layer gibt, aber zum Beispiel bei einer Kaffeemaschine oder bei einem Auto ist mir das erst mal gar nicht so bewusst.
Joel: Eine weitere Herausforderung für Interaction Designer ist es, Sicherheit zu gewährleisten.
Was bedeutet die Entwicklung für die Kunst?
Joel: Aus künstlerischer Perspektive geht es darum, diese Vorgänge auszuloten und zu kritisieren.
Moritz: Das ist ein wichtiger Punkt, weil heute technologisch sehr viel möglich ist. Noch vor ein paar Jahren war es undenkbar oder sehr schwer zu realisieren, dass sich Objekte vernetzen. Heute ist das Smart Home Realität. Wir müssen uns fragen, ob das wirklich einen Mehrwert bietet.
Ihr habt gleich die zweite Frage mit beantwortet, nämlich, welche Rolle den Kunstschaffenden in einer fortschreitenden Digitalisierung zu. Möchtet ihr noch was anfügen?
Moritz: Es ist nicht nur alles heilbringend und super, was technologisch oder gesellschaftlich geschieht. Kunst kann das sichtbar machen.
Habt ihr das Gefühl, dass die Kunst im gleichen Mass digitaler wird wie die Gesellschaft oder beobachtet ihr da einen gegenläufigen Trend?
Joel: Ich weiss nicht, ob man das einander gegenüberstellen soll.
Findet Ihr, dass in der Kunst die Digitalisierung gleichermassen voranschreitet und dadurch neue Bewegungen entstehen, wie das in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen der Fall ist?
Joel: Wo hört Kunst auf und wo beginnt Design? Denke ich an Stage Design für grosse Events oder Konzerte, ist das für mich persönlich auch Kunst – obwohl das dem Design zugeordnet wird. Da gibt es eine gewisse Grauzone.
Moritz: Interaktive Installationen gibt es in der Kunst schon sehr viel länger als im Design. Kunst ist der gesellschaftlichen Entwicklung voraus. Es gibt frühe Beispiele von digitaler Kunst, die sich digitaler Werkzeuge und Methoden bediente und sie in extreme Richtungen trieb. Das ist, glaube ich, immer ein Aspekt von Kunst: gucken, Grenzen ausloten. Auch in klassischen Ausdrucksformen der Kunst spiegeln sich Themen, die mit gesellschaftlichen Veränderungen wie Digitalisierung und so weiter zu tun haben. Zum Beispiel das ständige Online-Sein, Vernetzt-Sein, die Preisgabe von persönlichen Daten und so weiter.
Welchen Mehrwert bietet digitale Kunst gegenüber der analogen? Zum Beispiel punkto Demokratisierung.
Moritz: Digitale Werkzeuge können verwendet werden von Künstlern, von Gestaltern, von wem auch immer. Das Internet ist sehr demokratisch, bietet aber extreme Möglichkeiten – gerade für Kunstschaffende und Designer. So verhält es sich mit den meisten Technologien: Sie werden zur Spielwiese fürs Ausprobieren und Experimentieren. Man kann sich gegenseitig dabei zuschauen, etwa in der Open Source. Dort kann ich mir von anderen etwas abschauen und übernehmen. Das ist demokratisch.
Joel: Im Bereich Artificial Intelligence gab es zunächst nur das Zusammenspiel von Wissenschaft und Forschung, Design, Engineering und Kunst. In der Zwischenzeit gibt es Tausende von Künstliche-Intelligenz-Kunst-Ideen. Demokratisierung in diesem Bereich heisst, dass Forschung, Kunst, Design und Engineering, also alle zusammen, einen Feedback Loop generieren.
Gibt es auch Mehrwerte für die Rezipienten, wenn die Kunst digitaler wird?
Moritz: Viele Artists in Residence arbeiten mit Wissenschaftlern zusammen an digitalen Forschungsprojekten. Sie eignen sich das Wissen der Wissenschaftler an und versuchen, es in einer anderen Form zu manifestieren. Das regt den Diskurs an. Künstler setzte sich vielleicht eher damit auseinander, was mögliche Auswirkungen auf einzelne Personen oder die Gesellschaft sein können als Software-Ingenieure, welche die Technologien einfach cool finden.
In welchen Lebensbereichen schätzt Ihr persönlich die Digitalisierung am meisten und in welchen wünscht Ihr Euch vielleicht sogar eine analoge Welt zurück?
Moritz: Ich bin froh habe ich ein grösseres Verständnis für die Digitalisierung als ein allgemein gebildeter Mitbürger. So habe ich die Wahl zu sagen, jetzt switche ich mal off und gehe in den Wald. Hingegen schätze ich es, dass trotz räumlicher Distanz alles bestens funktioniert.
Joel: Was ich extrem wichtig finde ist, dass Digitales ein Werkzeug bleibt. Ich habe meinen Facebook-Account aufgegeben, weil Facebook nicht mehr ein Werkzeug ist für mich. WhatsApp oder Skype sind noch Dienstleistungen mit Werkzeugcharakter, weil sie Dialog oder soziale Interaktion ermöglichen. Klar, sie sind vereinfacht, jetzt als Text Messages oder Skype ist hier ein bisschen einfacher zu verstehen, weil es einfach ein Internettelefon ist. Was ich neuerdings stark kritisiere, ist Slack. Klar ist es ein Werkzeug, um in einem Unternehmen effizienter zu kommunizieren, aber ich finde, es geht Vieles verloren auf dem Weg. Ich bin nicht die Person, die ihr ganzes Zuhause digitalisiert.