Selbstfahrende Autos gehörten künftig ebenso zu unserem Alltag wie Allzweckroboter für den Haushalt, sagt Ökonomin Karin Frick. Als Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb-Duttweiler-Instituts GDI analysiert sie Trends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum.
Die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt werden fliessender. Was bedeutet dies für den Menschen?
Unsere Realität erweitert sich. Wir können uns in der physischen Welt zunehmend gleich verhalten wie in der digitalen. Man kann zum Beispiel Häuser und Strassen – eigentlich alles, was man sieht – anklicken und erhält weiterführende Informationen dazu. Dadurch erhält die physische Welt zusätzliche virtuelle Schichten, die wir als Nutzer je nach Bedarf individuell kombinieren können.
Was meinen Sie mit individuell kombinieren?
Jeder kann die Welt durch eine ganz andere Brille betrachten und erhält aufgrund seiner Präferenzen andere Informationen. Ein Kind kann in einer Stadt Pokémons jagen, während die Eltern Informationen zur Geschichte eines Gebäudes bekommen. Das birgt auch Gefahren: Wenn wir nicht mehr wissen, in welcher Schicht wir uns gerade bewegen und wo Leute Dinge sehen, die andere nicht sehen oder ausblenden, kann dies auch zu Komplikationen und Verwirrung führen.
Was für Komplikationen?
Komplikationen bedeutet – bildlich gesprochen – eine Art babylonische Realitätsverwirrung. Das heisst, Missverständnisse nehmen zu, weil jeder in einer anderen Realität lebt und damit die Verständigung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen noch schwieriger wird. Je weniger sich virtuelle Objekte wie zum Beispiel ein Hologramm von realen Objekten unterscheiden lassen, um so schwerer wird es sich zu einigen, was wirklich wirklich ist.
Welche Verantwortung tragen Organisationen, die die Digitalisierung mitprägen respektive vorantreiben?
Ordnung war bisher an Orte gebunden. Welche Ordnung im virtuellen Raum entsteht, der grenzenlos ist, bleibt offen. Es geht zuerst einmal darum, diesen Raum zu erschliessen und mit den neuen Möglichkeiten zu experimentieren. In Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist wichtig, dass die neuen virtuellen Räume die entwickelt werden für alle offen und zugänglich bleiben und gemeinsam genutzt werden können. Organisationen könnten von Minecraft, dem virtuellen Legospiel, lernen, wie man Spielregeln gestaltet, so dass Nutzer beim Aufbau von virtuellen Welten eher kooperieren.
Welche Verantwortung tragen Kunstschaffende in Bezug auf die Digitalisierung?
Kunst muss frei sein, da gibt es meines Erachtens nach keine Grenzen.
In welchem Lebensbereich erwartet uns in den kommenden Jahren der grösste technologische Fortschritt?
Ich erwarte, dass mehr Allzweckroboter auf den Markt kommen, die auch in Kleinbetrieben und Haushalten eingesetzt werden können. Wir werden mit Robotern zusammen wohnen und arbeiten – und sie vielleicht sogar heiraten.
Sie haben in Interviews schon die Behauptung aufgestellt, in Zukunft werden wir hauptsächlich über Telepathie kommunizieren. Verraten Sie uns bitte mehr dazu!
Die Forschung arbeitet an der Gehirn-Computer-Schnittstelle. Die ersten Prototypen sind bereits verfügbar, so ist es zum Beispiel heute möglich, dass querschnittgelähmte Menschen mit Gedankenkraft Computer steuern können. Wenn man das Hirn an das Internet anschliessen kann, kann man Information auch direkt aus dem Hirn abrufen, vielleicht auch bald einmal im eigenen Hirn googeln oder Mitteilungen direkt in ein anderes Gehirn senden. Der Unternehmer Elon Musk hat kürzlich die Firma NeuroLink gekauft, die ein alltagstaugliches Brain-Computer-Interface entwickeln soll.
Welche weiteren Kommunikationsmöglichkeiten wird uns der technologische Fortschritt bringen?
Es wird mehr Kanäle geben, über die wir mit Augen, Ohren, Haut oder eben direkt von Hirn zu Hirn kommunizieren können. Die Technik, die das möglich macht, rückt immer mehr in den Hintergrund. Wir müssen nicht mehr tippen und können zum Beispiel direkt mit Dingen reden. Es sind auch grosse Fortschritte bei der Kommunikation zwischen verschiedenen Lebewesen zu erwarten. Wenn jedes Lebewesen – einschliesslich seiner Emotionen und Wünsche – entschlüsselt ist, werden wir auch immer besser verstehen, wie Tiere und Pflanzen kommunizieren.
Wie werden wir uns im Jahr 2050 fortbewegen?
Bis im Jahr 2050 werden selbstfahrende Autos vermutlich das wichtigste Fortbewegungsmittel sein. Im Nahverkehr werden wir häufiger zu Fuss gehen oder Fahrräder nutzen. Für den Warenverkehr werden vermutlich auch Drohnen eingesetzt. Herkömmliche Autos werden auf immer weniger Strecken zugelassen. Doch es ist denkbar, dass es für Nostalgiker in Zukunft Autostrassen zum Selberfahren gibt, so wie es heute Pferdewege gibt.
In welchen Lebensbereichen schätzen Sie Digitalisierung am meisten? In welchen wünschen Sie sich eine analoge Welt zurück?
Ich wünsche keine analoge Welt zurück und schätze die neuen Werkzeuge, die uns helfen, Trends aufzuspüren, virtuell an verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein sowie direkt mit Menschen aus aller Welt zusammenzuarbeiten.