Ein Beitrag aus der Serie «Skandinavien entdecken mit Volvo»
Kein Land pflegt seine Saunakultur so sehr wie die Finnen. Mit der spektakulären Sauna Löyly an der Küste Helsinkis entstand ein architektonisches Monument, das nicht nur Körper und Geist belebt, sondern einen ganzen Stadtteil. Wir haben die beiden Architekten von Avanto getroffen, um mehr über ihr Gebäude und Finnlands Saunakultur zu erfahren.
Wer hätte gedacht, dass Schweden trotz seiner vielen Errungenschaften einmal zum Synonym für Selbstaufbaumöbel wird? Welches Etikett ein Land bekommt, lässt sich kaum vorhersagen. Als die ersten finnischen Siedler einen Graben zogen, mit Steinen füllten, diese aufheizten, Wasser darüber gossen und sich in den Dampf setzten, ahnte wohl niemand, dass dieses Ritual einmal zum Inbegriff der finnischen Lebensart wird.
Der heilige Raum
In Finnland sind Saunen heilige Räume. Hier tanken Menschen Energie und entkommen der modernen Hektik mit einer Tradition, die seit tausenden Jahren praktisch unverändert geblieben ist. Und zwar nicht nur in Finnland. «Die Saunakultur gab es einst in ganz Europa», erklärt Ville Hara, Mitgründer von Avanto Architects. «Dann wurde sie aus religiösen Gründen geächtet und für unmoralisch befunden. In vielen Ländern schlossen die Saunen – diese Kultur verschwand. Doch in Finnland hat sie überlebt. Die Saunakultur ist in vielem gleich geblieben und immer noch ein grosser Teil unseres Lebens.»
Bevor es in finnischen Häusern Badezimmer gab, nutzten alle für ihre Körperhygiene die öffentlichen Saunen. Mit der Verbreitung des Badezimmers wurden sie überflüssig – sie verschwanden grösstenteils. Wenn die Saunakultur überleben wollte, musste sie sich entwickeln. Zum Glück geschah das. Fortan gingen die Leute zum Entspannen und geselligen Zusammensein in die Sauna. So entstand in Finnland eine neue Saunakultur und mit ihr, neue öffentliche Saunen.
Architektur für ein besseres Leben
Benannt nach dem finnischen Wort für Dampf, ist Löyly das schöpferische Produkt der Architekten Anu Puustinen und Ville Hara. Anu und Ville gründeten 2004 Avanto Architects. Von Anfang an wussten sie wie ihre Entwürfe aussehen und wirken sollten. «Architektur ist für uns ein Weg, um Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen», sagt Anu. «Unsere Architektur soll erlebbar sein. Wenn jemand in einem von uns entworfenen Gebäude nichts empfindet oder sich später nicht daran erinnert, haben wir unser Ziel verfehlt.» Ville stimmt zu: «Es geht darum mehr Lebensqualität zu schaffen und die Frage: Wie können wir so bauen, dass es Menschen besser geht?»
Avanto bedeutet «Loch im Eis» – womit der finnische Volkssport des Eisbadens gemeint ist.
Ein Teil der Felsenküste
«Löyly liegt an einem Küstenstreifen namens Helsinki Park. Statt einem viereckigen Gebäude wollten wir ein Stück künstliche Topographie schaffen – daher die naturnahe, felsenartige Form. Weil das Gebäude im Laufe der Zeit ergraut, wird es so wirklich zu einem Teil der Felsenküste.»
Bei der Materialauswahl mussten Anu und Ville sowohl auf Form als auch Funktion achten. «Da viel mit Wasser gearbeitet wird, brauchten wir langlebige Materialien, die Nässe vertragen», meint Anu. Sie entschieden sich für Beton in den Nassbereichen, Stahl für die lasttragenden Strukturen und ein atemberaubender hölzerner Mantel, der das ganze Gebäude umhüllt und daraus ein Kunstwerk macht.
Auch Nachhaltigkeit war den Architekten sehr wichtig. Alle 4000 verbauten Holzplanken sind FSC-zertifiziert. Das Holz lieferte ein schwedisches Startup namens Nextimber. Dieses Unternehmen sammelt Holzreste ein, verklebt sie zu massiven Elementen und sägt daraus Bretter. So wird nichts verschwendet.
Sauna belebt einen ganzen Stadtteil
Sechs Jahre betrug die Bauzeit für Löyly. Nach Fertigstellung waren selbst Anu und Ville überrascht, welch positive Wirkung ihr Design auf die Menschen hatte. «Wir waren ziemlich perplex als wir die fertige Sauna zum ersten Mal besuchten. Es war Samstagabend und voll junger Leute. Alle tranken Bier und hatten Spass, fast wie in einem Club. So geht Sauna heute», sagt Ville.
Löyly hat sogar die Einstellung der Bewohner von Helsinki zur Sauna verändert. «In Helsinki waren vorher alle Saunen nach Männern und Frauen getrennt. Aber wir dachten an unsere Familien und Freunde, alle, mit denen wir gerne gemeinsam in die Sauna gehen», meint Anu. «Löyly war unsere Chance einen Raum zu schaffen, wo Familien und Freunde gemeinsam hingehen können.»
«Architektur ist für uns ein Weg, um Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.»
Anu Puustinen, Avanto Architects
Löyly ist die erste gemischte öffentliche Sauna Helsinkis. Nicht alle begeisterten sich für diesen Bruch mit der Tradition. «Manche waren empört, besonders konservative, ältere Männer. Dabei stellt sich die gleiche Frage wie bei der Oper: Müssen Opern immer in alten, verstaubten Kulissen aufgeführt werden oder können wir sie ändern und weiterentwickeln?»
Die besondere Sauna haucht auch einem vernachlässigten Stadtteil von Helsinki neues Leben ein. «Hier war es früher wie ausgestorben, trotz der tollen Lage am Meer gab es keinen Grund herzukommen. Löyly hat bewiesen, dass selbst ein kleines öffentliches Gebäude den Ruf eines Stadtteils komplett verändern kann. Darauf sind wir sehr stolz», sagt Anu.
Der Mensch im Mittelpunkt
Avanto kann mehr als Sauna bauen. Eines der erfolgreichsten und bekanntesten Projekte ist die St.-Lawrence-Kapelle in der Stadt Vantaa. Es war das erste gemeinsame Projekt von Anu und Ville und führte zur Gründung des Architekturbüros. Zwar liegen zwischen einer Sauna und einer Kapelle Welten, aber Anu und Ville arbeiteten auch bei St. Lawrence menschenzentriert – wie bei allen Projekten.
«Es geht um Empathie», meint Anu, «wir versetzen uns in die Rolle derer, die das Gebäude nutzen. Als wir mit der Kapelle anfingen, haben wir überlegt, was sich dort abspielen wird – also Gottesdienste, Beerdigungen, Hochzeiten – und wie der Raum ihnen Trost und Hoffnung spenden kann.»
Entstehen sollte die neue Kapelle neben einer mittelalterlichen Kirche im ältesten Teil von Vantaa. Damit sich der Neubau respektvoll in die Umgebung einfügt, wurde das gesamte Baumaterial aus der alten Kapelle verwendet. Das beruhigte nicht nur die Einheimischen als Nutzer der Kapelle sondern überzeugte auch die Baubehörden, dass mit den altbewährten Materialien das Gebäude weitere 200 Jahre halten kann. «Vor Baubeginn waren die Leute natürlich misstrauisch», sagt Ville. «Doch als sie das Ergebnis sahen, waren sie begeistert und sind heute sehr stolz auf die Kapelle.
In der Sauna sind alle gleich
Gibt es Parallelen zwischen der Sauna und der Kapelle? Anu und Ville sehen Ähnlichkeiten: «Es geht um den Prozess und wie sich der Mensch dadurch verändert. In der Kapelle ist man vielleicht traurig. Aber den Prozess zu durchlaufen und mit seinen Gefühlen ins Reine zu kommen hilft, dass das Leben weitergehen kann. In der Sauna ist es ähnlich: mit Hitze und plötzlicher Kälte fühlt man sich wie neugeboren. Es ist einfach wunderbar, wie unsere Arbeit Menschen Freude oder Wohlbefinden bringen kann.»
Und was suchen Anu und Ville, wenn sie in die Sauna gehen? Können sie sich überhaupt entspannen? «Inzwischen können wir uns in Löyly entspannen. Anfangs mussten wir die ganze Zeit daran denken, was wir hätten besser machen können», meint Anu. «Was ich mir von der Sauna erhoffe, hängt von der Tagesform ab. Manchmal möchte ich meditativ allein sein, an anderen Tagen gemütlich am Feuer eine Zeitschrift lesen. Aber wenn wir mit Freunden nach Löyly gehen, ist es ganz anders. Dann sind wir gesellig und geniessen das Leben.» Für Ville ist Sauna ein Gemeinschaftserlebnis, eine gute Art, gute Zeit miteinander zu verbringen: «Vielleicht ist man in der Sauna auch vertrauter und entspannter – man hat mehr Zeit, ist lockerer und öffnet sich mehr.» Was ist die wichtigste Botschaft der finnischen Saunakultur? Beide denken kurz nach, ehe Anu antwortet: «In der Sauna sind alle gleich.»
«Architektur erlebt man mit allen Sinnen. Es geht nicht nur um das Sehen.»
Anu Puustinen, Avanto Architects