Ein Beitrag aus der Serie „Volvo Classics Söndag“
Heute ist der Volvo P1800 ES eine Stil-Ikone. Wird allgemein als «most sexy Volvo ever» betrachtet – und zu teilweise unverschämten Preisen gehandelt (ja, da wurde in Dollar auch schon sechsstellig bezahlt…).
Über Geschmack lässt sich zwar (nicht) streiten, aber er ist zu Glück einem dauernden Wandel unterworfen und manch ein Wagen, der während seiner Produktionsjahre kaum ein Rad auf den Boden brachte, ist heute ein begehrtes Design-Objekt.
Das gilt unbedingt auch für den Volvo P1800 ES, besser bekannt als «Schneewittchensarg», der nur gerade von 1971 bis 1973 gebaut wurde und nur in den USA auf einigermassen anständige Verkaufszahlen kam. Auch, weil er allgemein schon als veraltet galt, als er auf den Markt kam.
Für viele ist der Schwede heute der Inbegriff des «shooting brake», doch er war weder der erste zweitürige Kombi noch eine besonders kreative Interpretation des Themas – der Ruhm entstand erst über die Jahre, Anerkennung fand der Volvo P1800 ES eigentlich erst nach der Jahrtausendwende.
Der Volvo P1800 ES ist vorwiegend ein optischer Genuss
Wenn man nach den technischen Feinheiten des Antriebs des «sportlichen» Volvo sucht, dann dürfte da zuerst einmal sanfte Enttäuschung herrschen. Der Vierzylinder mit seinen 1986 cm3 Hubraum (drum hiess er 1800…) ist ein rauer, biederer Geselle, Grauguss, untenliegende Nockenwelle, zwei über Stössel und Kipphebel klappernde Ventile pro Zylinder. Die neu eingeführte Benzineinspritzung entlockte dem Reihen-Vierer 125 PS bei 6000/min.
Viel schneller wollte man auch nicht, den hinten gab es eine sehr klassische Starrachse, vorne immerhin eine Einzelradaufhängung mit Dreieck-Querlenkern. Die massive Bauweise hat den Vorteil, dass nicht viel kaputtgehen kann; die Motoren stecken auch 500’000 Kilometer locker weg.
Rollt schön, gleitet komfortabel
Und doch fährt er sich ganz nett, heute. Wilde Schlachten auf der Landstrasse will man sich (auch) in diesem Volvo nicht liefern, doch er rollt schön, gleitet komfortabel, hat auch genug Durchzugskraft. Das Getriebe ist nicht das, was man als knackig bezeichnen würde, doch die Wege sind gut definiert, auch die Lenkung ist präziser als bei anderen Fahrzeugen aus den 70er Jahren.
Die Scheibenbremsen sind eher klein dimensioniert, doch der Wagen wiegt ja auch nur 1200 Kilo, da geht das ganz gut. Und wenn man dann einmal im Fluss ist, dann kommt da auch Fahrfreud’ auf. Allein schon deshalb, weil man den «Schneewittchensarg» noch selber fährt, nicht von ihm gefahren wird.
Und was grossartig ist: es gibt wohl nicht viele Fahrzeuge, die im Verkehr mehr Sympathien geniessen als der P1800 ES, man wird fleissig gegrüsst, angelächelt und bewundert für den guten Geschmack, den man da spazieren fährt. Bei umgeklappter Rücksitzbank stehen rund 1000 Liter Kofferraumvolumen zur Verfügung. Schokolade sollte sich allerdings keine im Gepäckraum befinden, der heizt sich schnell und heftig auf.
Der Tod des «Schneewittchensargs»
Offiziell waren es die verschärften amerikanischen Sicherheits- und Abgasbestimmungen, die den Volvo P1800 S und ES 1973 das Genick brachen. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Anpassungen wohl kaum mehr gerechnet hätten, denn vom Schneewittchensarg wurden nur gerade 8077 Stück abgesetzt.
Dies wohl auch deshalb, weil er in Deutschland über 25’000 Mark kostete, fast gleich viel wie ein Porsche 911; in der Schweiz war er mit CHF 25’800 angeschrieben, dafür gab es auch einen Ford Capri mit 2,6-Liter-Sechszylinder oder einen Opel Commodore GS/E. In den USA erhielt man für das gleiche Geld wie für den P188 ES einen anständig motorisierten Camaro.
Weitere Modelle aus unserer bewegten Geschichte gibt es jeweils am «Volvo Classic Söndag» hier auf dem Volvo-Blog.
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