Ein Beitrag aus der Serie „Volvo Classics Söndag“.
Am 21. Mai 1957 wurde der letzte Volvo Sport P1900 nach Amerika verschifft. Er war das erste europäische Serienfahrzeug mit einer Fiberglas-Karosserie und der Wegbereiter für unseren legendären Volvo P1800.
Stilvoller hätte der Abschied nicht sein können für einen Volvo, dem zwei Sommer und gerade einmal 67 oder 68 Einheiten genügen mussten, um uns in der Sportwagenwelt zu etablieren. Der letzte Volvo Sport P1900 rollte am 21. Mai 1957 aus den Produktionshallen in Göteborg und wurde direkt zu einem Sportwagenenthusiasten nach Kalifornien verschifft.
Von dort hatte Volvo CEO und Unternehmensgründer Assar Gabrielson 1953 das Konzept für den ersten europäischen Serienroadster mit Kunststoffkarosserie mitgebracht und in Amerika feierte der Volvo Sport P1900 auch seinen grössten Erfolg: Gemeinsam mit seinem technischen Genspender, dem Volvo PV444 „Buckel Volvo“, machte der Fiberglas-Sportler die schwedische Marke dort bekannt unter dem Slogan „Volvo is the sports car, a product of superb Swedish engineering“.
Allerdings verhinderte die futuristische Fiberglas-Karosserie, dass der Volvo Sport P1900 die hohen Volvo-Qualitätsstandards erreichte.
Seine Karriere war kurz, seine historische Bedeutung dennoch nicht zu unterschätzen: Der Volvo Sport P1900 schrieb Geschichte als erster schwedischer Sportwagen und als erstes europäisches Serienauto mit Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Vor allem aber fungierte der agile und leichtgewichtige Zweisitzer – die Typenbezeichnung bezog sich auf das ursprünglich angestrebte Leergewicht von nur 1’900 Pounds (lb) bzw. umgerechnet 862 Kilogramm – als perfekter Imageträger für unseren Einstieg in den glamourösen Sportwagenmarkt und den Sprung nach Nordamerika.
Auf dem damals weltgrössten Markt für Premiummarken beschleunigte der rare, aber rassig designte Roadster den Verkaufserfolg des volumenstarken Volvo PV444. Ein berechtigter Imagetransfer, denn der als „Family Sports Car“ gefeierte Volvo PV444 lieferte die Mechanik und den zuverlässigen B14A-Vierzylinder des Volvo Sport P1900 in einer auf 51 kW (70 PS) leistungsgesteigerten Doppelvergaser-Version. Trotzdem mangelte es dem Roadster an der für uns markentypischen Robustheit, weshalb die Fertigung bald wieder eingestellt wurde.
Volvo Sport P1900 – ein visionärer Sportwagen
Seine zukunftsweisende Kunststoffkarosserie wurde ihm zum Verhängnis. Denn ihr verdankte der Volvo Sport P1900 zunächst seine Konzeption, dann den kometenhaften Aufstieg in die Sphären der aufregendsten Sportwagen der 1950er Jahre und schliesslich führten die Fiberglas-Fertigungsprobleme und die hohen Kosten zum vorzeitigen Ende der Karriere von Schwedens erster sportlicher Speerspitze nach nur 67 bzw. 68 Einheiten – die Fahrgestellnummer 20 wurde nämlich versehentlich doppelt vergeben. Das stellte sich jedoch erst heraus, als später die Produktionsstatistik mit den Lieferlisten abgeglichen wurde. Doch damit nicht genug der Kuriositäten: Die zwei Chassis mit der Nummer 20 wurden nicht wie eigentlich vorgesehen exportiert, sondern beide auf dem schwedischen Heimatmarkt zugelassen.
Viel bewegt hat der Volvo Sport P1900 dennoch, fehlte er doch auf keiner unserer Produktpräsentationen. In den USA debütierte der Roadster 1956 unter der Bezeichnung Volvo Sport im mondänen Coliseum auf der New York Auto Show. Es war eine glamouröse Premiere, der eine noch glanzvollere Promotiontour von der Ostküste an die Westküste folgte. Denn im Unterschied zu vielen anderen europäischen Sportwagen-Showstars, zeigte sich der neue Volvo Sport P1900 seinem Publikum sofort “on the road”.
Vorreiter moderner Leichtbautechniken
Lieferant der leichtgewichtigen Fiberglas-Karosserie war der kalifornische Bootsbau-Spezialist Glasspar. Dessen innovative Fiberglas-Produktionstechniken hatten Volvo CEO und Unternehmensgründer Assar Gabrielsson überzeugt, als er 1953 den Start von Volvo auf dem US-Markt vorbereitete und dazu einen extravaganten Roadster als Leuchtturmprojekt plante.
Noch im selben Jahr entwickelte Glasspar erste Karosserieentwürfe für den Volvo Sport P1900 und schon im Frühling 1954 schickten die Amerikaner drei Prototypen zur Presse- und Publikumspräsentation auf dem Flughafen Torslanda über den Atlantik.
Die Startbahn bot das perfekte Launchpodium für den zweisitzigen Roadster mit spektakulärem Kühlergrilldesign im Stil einer Jet-Turbine. So viel Temperament entfesselte der 1,4-Liter-Vierzylinder zwar nicht, aber es reichte doch für die damals überaus sportliche Höchstgeschwindigkeit von bis zu 170 km/h. Für die Fachwelt war dieser Fiberglas-Racer eine Sensation, mit der niemand gerechnet hatte, zumal sich bis dahin nicht einmal die europäischen Sportwagenspezialisten an eine Serienfertigung von Kunststoffkarosserien gewagt hatten.
Ein Roadster als erster globaler Markenbotschafter von Volvo Cars
Wir hatten grosse Pläne mit dem avantgardistischen Roadster, der ausschliesslich für den Export vorgesehen war und neue Märkte in Nordamerika, Südamerika und sogar Afrika erschliessen sollte. Dazu kündigten wir eine erste Serie von nicht weniger als 300 Fahrzeugen an. Um dies zu realisieren, beinhaltete der Vertrag zwischen uns und Glasspar auch die Schulung unserer Mitarbeiter in der Produktion der Fiberglas-Karosserien, die in den drei exklusiven Lackierungen hellgelb, hellgrau und hellblau ausgeliefert wurden. Am Ende blieben die Stückzahlen des Volvo Sport P1900 aber so bescheiden, dass der offene Zweisitzer auch auf dem Heimatmarkt angeboten wurde.
Tatsächlich betraten wir mit diesem ersten Serienauto aus glasfaserverstärktem Kunststoff produktionstechnisches Neuland, wie auch die werkseitigen Langstreckentests durch ganz Europa und Nordafrika zeigten. Nie konnte die Karosserie gänzlich den Qualitätsanforderungen genügen, dabei war die Auslieferung der ersten Kundenfahrzeuge schon auf Januar 1956 verschoben worden. Dieses Problem erkannte auch der 1957 neu ernannte Volvo CEO Gunnar Engellau, der deshalb im Frühling vor 62 Jahren das sofortige Produktionsende für den Volvo Sport P1900 beschloss.
Vom Fiberglas-Pionier zum Sammlerfahrzeug
Dass der Volvo Sport P1900 heute zu den gesuchtesten schwedischen Klassikern zählt, liegt nicht nur an seiner kleinen Auflage, sondern auch an seinem Stellenwert als erster echter Sportwagen aus Skandinavien, der im Volvo P1800 seinen spektakulär erfolgreichen Nachfolger fand. Überdies war der leistungsstarke und zuverlässige Doppelvergaser-Motor des Fiberglas-Roadsters ab 1957 auch für den Volvo PV444 lieferbar, der uns in den USA damit endgültig als „sensational family sports car” etablierte.
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