Schöner könnte eine Heldengeschichte nicht sein als jene der Brüder Joginder und Jaswant Singh, die 1965 mit einem Volvo PV 544 die härteste Rallye der Welt gewannen. Aber fangen wir ganz vorne an.
Anders als in Schweden wird Volvo hierzulande nicht als erstes mit Motorsport assoziiert. Doch schon vom ersten Volvo Modell, dem ÖV4, entstand 1928 eine Rennversion, die bei schwedischen Langstrecken-Rallyes erfolgreich eingesetzt wurde. Schnell merkte man, dass der Motorsport ein ideales Testfeld für neue Technologien und Materialien ist. Mitte der 1950er-Jahre intensivierte Volvo Cars die Aktivitäten im Rennsport.
1959 entstand eine eigene Motorsportabteilung, die ab 1961 vom legendären schwedischen Rallyefahrer Gunnar Andersson geleitet wurde. Andersson qualifizierte sich für diesen Job nicht nur, weil er drei Tage nach dem ersten Volvo ÖV4 das Licht der Welt erblickte, sondern vor allem wegen seines Sieges mit dem Volvo PV 544 an der 4620 Kilometer langen Marathon-Rallye «Gran Premio de Argentina 1960».
Der Volvo PV 544 bewies sich in vielen Rennen als zuverlässiges, schnelles Fahrzeug. Aber konnte es auch den härtesten aller Härtetests bestehen – die East African Safari Rallye? Immerhin betrug die Ausfallrate bei jeder Durchführung rund 90 Prozent.
1964 stellte sich Volvo Cars der Herausforderung. Dafür schickte Gunnar Andersson vier weiss lackierte PV 544 Rallyefahrzeuge nach Kenia, inklusive ausgezeichneten Rennfahrer-Teams. Die Rennfahrzeuge erhielten einen auf 130 PS leistungsgesteigerten B18-Motor, eine verstärkte Vorderradaufhängung mit Gasdruck-Stossdämpfern, Scheibenbremsen vorne, zwei Benzintanks sowie einen massiven Unterfahrschutz für Motor, Getriebe und die Tanks.
Der Plan war, dass sich das Volvo Werksteam in Kenia sorgfältig auf die Material mordende Rallye vorbereitet. Doch mit einem hatten sie nicht gerechnet: Streik. Die Auslieferung der Fahrzeuge verspätete sich so sehr, dass die Volvo Teams ohne Trainings- oder Probefahrten zur Rallye starten mussten. Und es kam noch schlimmer: Die härteste Rallye der Welt war 1964 noch gnadenloser als in den Vorjahren, die Pisten in katastrophalem Zustand. Leider schafften es die Werksfahrzeuge (wie die meisten anderen Teilnehmer) nicht, in der vorgegebenen Zeit das Ziel zu erreichen. Das Team musste ohne Pokal, aber dafür mit vielen neuen Erfahrungen abreisen.
Einer dieser weissen Rallye Volvo PV 544 blieb beim kenianischen Importeur Amazon Motors zurück. Es handelte sich um einen unfallbeschädigten PV 544, der bereits zwei komplette Rennsaisons hinter sich und schon 42’000 Meilen auf der Uhr hatte. Worin andere nur einen Haufen Schrott sahen, entdeckte der Streifenpolizist Joginder Singh eine Chance. Der Hobby-Rennfahrer hatte schon mehrere Rallye-Starts hinter sich und lieh sich bei Amazon Motors bereits 1964 einen Volvo PV 544 aus, mit dem er an kleineren Afrika-Rallyes teilnahm. Dabei entwickelte er sich zum wahren Buckel Volvo Experten; so verbesserte er nach jeder Teilnahme das Rennauto und passte ihn den gnadenlos schlechten Strassen Afrikas an. Doch Joginder Singh hatte das Geld nicht, um den Rallye PV 544 zu kaufen. Also einigte er sich mit Amazon Motors auf einen Ratenkauf.
Es blieb nicht mehr viel Zeit bis zum Start: Zusammen mit seinem Bruder Jaswant Singh baute er das demolierte Auto komplett neu auf. Doch niemand glaubte an einen Erfolg der Brüder; schliesslich floppe die vorjährige Teilnahme des Volvo Werkteams.
Doch niemand hatte mit der Cleverness der beiden Singh-Brüder gerechnet. So brachten sie beispielsweise am Heck des Volvo zwei Griffe an, an denen sich Beifahrer Jaswant festhielt, während er auf der Stossstange stand. Wenn sie auf schlammigen Strassen fuhren, hatten sie mit dieser menschlichen Traktionshilfe mehr Druck auf den Antriebsrädern. Keiner konnte sie einholen.
Als die Singh-Brüder nach fünf Tagen in Nairobi die Ziellinie überquerten, kannte der Jubel der Zuschauer keine Grenzen. Sie siegten mit einem Vorsprung von einer Stunde und 40 Minuten auf den Zweitplatzierten. Niemals wieder gewann ein Team mit grösserem Vorsprung als Joginder Singh – der seitdem «The Flying Sikh» genannt wird.
Auch Amazon Motors war so stolz auf den Rallye-Champion, dass sie den Ratenkaufvertrag mit Joginder Singh annullierten und ihm das Rennfahrzeug schenkten. Das Rallye-Siegerauto ist übrigens bis heute im Besitz der Familie Singh. Nach einer Restaurierung erhielt es einen Ehrenplatz im Volvo Museum in Göteborg.
Joginder Singh fuhr im Verlauf seiner späteren Rallyekarriere noch verschiedene weitere Volvo Modelle. Bei Starts zur Schweden-Rallye war er zwar nicht ganz so erfolgreich, dafür gelangen dem fliegenden Sikh in den 1970er-Jahren zwei weitere Siege bei der Rallye. Doch sein Lieblingsauto blieb stets der Volvo PV 544, wie er in Interviews gerne betonte. Joginder Singh starb 2013 im Alter von 81 Jahren in London.