Die berühmteste Botschafterin des Kantons Tessin ist die Kastanie. Der leckeren Baumfrucht sind im Herbst vielerorts eigene Feste gewidmet. Denn der «Brotbaum der Armen» war jahrhundertelang überlebenswichtig.
Wenn es im Tessin «Igel» von den Bäumen regnet, dann ist Kastanien-Saison. Nirgendwo in der Schweiz hat es mehr Kastanienhaine und nirgends wird die Köstlichkeit mehr geehrt als im Tessin.
Das hat einen Grund: Kastanien waren über hunderte von Jahren das Grundnahrungsmittel der Tessiner Landbevölkerung; das Einsammeln der wertvollen Baumfrucht hatte im Herbst oberste Priorität. Oft stand armen Familien während der kargen Wintermonate nichts anderes zur Verfügung. So ass man nicht selten mehrmals täglich Produkte, deren Grundbestandteil aus Kastanien bestand. Die Kastanie wird bis heute in vielen Produkten verarbeitet: von Bier über Mehl und Pasta bis hin zu Likör, Honig etc.
Auch als Exportprodukt hatte die Kastanie einen hohen Stellenwert: Vom Tessin aus zogen Marroniverkäufer los, um ihre Ware im Winter in Italien und Frankreich auf der Strasse anzubieten.
Selbst der Baum hatte einen hohen Nutzwert für die Tessiner Bevölkerung: Die getrockneten Blätter dienten als Viehfutter, während der Stamm als Baumaterial verwendet wurde und die Äste als Brennholz oder Werkzeug. Die Kastanienwälder waren also überlebenswichtig und wurden mit viel Aufwand gepflegt.
Zwar ist die Kastanie heute nicht mehr der «Brotbaum der Armen», aber die Baumfrucht wird immer noch geehrt. Seit 1999 gibt es die Vereinigung der Kastanienbauern der italienischen Schweiz, deren Ziel es ist, die Geschichte, Kultur, Anbaumethoden, Verbrauch sowie Handel von Kastanien populärer zu machen und für die Ernte zentrale Sammelstellen zu organisieren. Zudem gibt es heute ein Inventar aller Riesenkastanien im Tessin, und die Wiederherstellung alter Haine wird staatlich gefördert. Man könnte sagen, dass die Kastanie in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Boom erlebt hat. Auch gastronomisch, insbesondere im Herbst nach der Erntezeit, wenn es in vielen Restaurants oder Grottos fast ausschliesslich Mahlzeiten auf Marroni-Basis gibt.
Mit thematischen Wanderwegen wie dem «Sentiero del castagno» im Malcantone oder der «Sentée da l’albur» im Mendrisiotto soll die Kastanie touristisch genutzt werden. Der Kastanienweg im Malcantone folgt einem ausgeschilderten Pfad, ist 15 Kilometer lang und verläuft durch die Ortschaften Arosio, Mugena, Vezio, Fescoggia und Breno. Die Strecke ist ganzjährig zu begehen und lässt sich in etwa fünf Stunden zurücklegen.
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