Montagnola wäre einfach nur ein hübscher Ort hoch über Lugano, hätte nicht der weltweit meistgelesene deutsche Schriftsteller hier vier Jahrzehnte gelebt und seine grössten Meisterwerke geschrieben. Ein Museum und der Hermann-Hesse-Rundweg erinnern an den Literaturnobelpreisträger.
Montagnola ist schön. So bezaubernd, dass die Liste der prominenten Persönlichkeiten lang ist. So wohnt Bundesrat Ignazio Cassis am «Collina d’Oro», dem goldigen Hügel über Lugano, genauso wie einst Ex-Beatles George Harrison. Aber vor allem wegen Hermann Hesse wurde Montagnola zum Pilgerort für Fans aus aller Welt.
Literaturliebhaber zieht es bis heute magisch nach Montagnola. Im Zentrum steht dabei das Museum im Torre Camuzzi, der unmittelbar neben seinem ehemaligen Wohnhaus steht; Hermann Hesse lebte zwischen 1919 und 1931 in der Casa Camuzzi. Das 1853 im barocken Stil eines russischen Palais gebaute Haus mit dem exotischen Garten wurde zur Inspirationsquelle Hesses. In der Erzählung «Klingsors letzter Sommer» beschreibt er dieses Lebensgefühl: «Unter ihm sank tief und schwindelnd der alte Terrassengarten hinab, ein tief durchschattetes Gewühl dichter Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blutbuche, Eukalyptus, durchklettert von Schlingpflanzen, Lianen, Glyzinien. Über der Baumschwärze schimmerten blassspiegelnd die grossen blechernen Blätter der Sommermagnolien, riesige schneeweisse Blüten dazwischen halbgeschlossen, gross wie Menschenköpfe, bleich wie Mond und Elfenbein, von denen durchdringend und beschwingt ein inniger Zitronenduft herüberkam.»
Hermann Hesses Lebensreise könnte aus seinen Romanen entspringen. Oft sind es Figuren, die mit ihrem Schicksal hadern, bevor sie den Mut finden, ihrer Bestimmung zu folgen. Hesse fühlte sich in seiner ersten Lebenshälfte oft missverstanden, heimatlos und unangepasst. Wie jeder Freigeist, fühlte er sich lange in einer falschen Zeit am falschen Ort.
Geboren 1877 im Schwarzwald, suchte Hermann Hesse wie jeder junge Mann eine Bestimmung in seinem Leben. Er fand sie weder als Theologe noch als Mechaniker oder Buchhändler – alles Berufe, in denen er scheiterte, bevor er von der Schreiberei leben konnte. Nachdem Hesse um 1906 seine ersten literarischen Erfolge feiern konnte, kaufte er sich ein Häuschen am Bodensee, wo er mit seiner Frau und drei Kindern als Selbstversorger leben wollte. Hesse reiste viel, unter anderem nach Indien, um einen Weg aus seiner Schaffenskrise zu finden. Er fand sie nicht, im Gegenteil, es zeichnete sich der erste Weltkrieg ab, den Hermann Hesse anfangs noch schreibkräftig unterstützte und sich sogar freiwillig meldete, aber für untauglich befunden wurde.
Ab 1916 wurde Hesse immer mehr zum Pazifisten und zum Kriegsgegner, womit er sich in seiner Heimat keine Freunde machte. Der Tod des Vaters, der Schatten des Ersten Weltkriegs und die gegen ihn lancierten Anfeindungen als Verräter haben Hermann Hesse in tiefe Depressionen gestürzt. Zudem verflüchtigten sich die Honorare seiner Bücher in der Hyperinflation – er sah keinen anderen Ausweg, als in der Schweiz neu anzufangen. Hermann Hesse verliess 1919 sein Heimatland und damit auch Familie, Kultur und Feinde, um im Tessin ein neues Leben zu beginnen.
Am Collina d’Oro blühte das Leben in unschuldiger Schönheit, unberührt vom Kanonenfeuer und der Armut der kriegsgebeutelten Länder. In Montagnola küsste ihn wieder die Muse; der Garten der Casa Camuzzi, wo er eine Wohnung mieten konnte, liess auch den dunklen Schleier auf seiner Seele verschwinden. In den Armen von Mutter Natur konnte er durchatmen und verfiel in einen wahren Schaffensrausch, zu dem auch unzählige Aquarelle gehören, die der Schriftsteller hier gemalt hat. In Montagnola entstanden seine grössten Werke, die zu weltweiten Bestsellern wurden: «Siddhartha» 1922, «Der Steppenwolf» 1927 oder «Narziss und Goldmund» 1930.
1931 zog er mit seiner dritten Ehefrau in ein nach seinen Wünschen gebautes Haus, unweit der Casa Camuzzi, das wegen seines roten Anstrichs auch Casa Rossa genannt wurde. Wie schon am Bodensee lebte Hesse hier sehr naturverbunden, die Gartenarbeit gehörte zu seiner täglichen Aufgabe, seine Form der Meditation. Doch so friedlich das Leben hier schien, so kampfbereit war Hesse gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus.
Die Casa Hesse wurde zur Anlaufstelle politisch Verfolgter wie Thomas Mann oder Bertolt Brecht. Schon damals war Hesse eine international anerkannte moralische Instanz. Es heisst, dass er im Laufe der Jahre über 35’000 Briefe beantwortet habe. 1943 erschien sein letzter Roman «Das Glasperlenspiel», 1946 erhielt Hermann Hesse den Nobelpreis für Literatur; der Höhepunkt seiner Karriere. Abgeholt hat Hesse den Preis in Stockholm nicht persönlich. Solche Veranstaltungen waren im ein Gräuel. Viel lieber als grosse Empfänge genoss er die Freiheiten auf seinem «Collina d’Oro». In Montagnola lebte Hesse erfüllt bis zu seinem Tod im Jahre 1962. Auch wenn sein Leben auf dem Friedhof von Montagnola endete, erlebten seine Werke vier Jahrzehnte nach dem Erscheinen eine Renaissance.
Hermann Hesses pazifistische, philosophische aber auch emanzipatorische Werke inspirierten in den 1960er-Jahren viele Künstlerinnen und Künstler der Popkultur. Andy Warhol stilisierte Hesse zur Ikone der Beat-Generation, was ihn zum literarischen Leader einer neuen Bewegung machte: den Hippies. Besonders mit dem Buch «Der Steppenwolf» konnte sich die rebellierende Jugend von damals identifizieren: 1969 gingen alleine in den USA jeden Monat 360’000 Exemplare über die Ladentische. Hesse wurde posthum zur Kultfigur, seine Werke zu Kampfschriften des Friedens und zu Handbüchern der Selbstfindung. Sie wurden in über 60 Sprachen übersetzt. Man schätzt, dass Hermann Hesse bis heute rund 150 Millionen Bücher verkauft hat und dass noch heute jährlich eine halbe Million Exemplare verkauft werden.
Nebst dem Museum mit der Dauerausstellung im Turm der Casa Camuzzi, gibt es in Montagnola auch einen hübschen Rundgang, der rund zwei Stunden dauert. Der Hermann Hesse gewidmete Weg führt zu einigen der schönsten Punkte Montagnolas – Orte, die dem Dichter besonders lieb waren und die man in seinen Werken wiederfindet. Der rund 3,5 Kilometer lange Rundweg umgeht Montagnola, durchquert den Dorfkern und führt durch den Wald zum Friedhof des Dorfes.
Hermann Hesse in Montagnola
Hermann Hesse spricht über das Glück
Titelbild: Eingang zum Hermann Hesse Museum in Montagnola, © Wikipedia, hans-juergen.breuning, CC BY-SA 3.0