Die Samen sind das einzige verbliebene Urvolk Europas. In ihrer Heimat, in Lappland, leben sie besonders nah mit der Natur und den Jahreszeiten, die sie in acht Phasen einteilen. Das entspricht dem Zyklus der Rentiere.
Was ist Zeit? Während in unseren Breitengraden Zeit vor allem Geld ist, sehen die schwedischen Ureinwohner in der Zeit mehr die verschiedenen Stadien der Natur als Kalenderdaten. Die Samen unterscheiden dabei nicht nur vier Jahreszeiten, sondern acht. Man könnte auch sagen, dass es sich um einen Rentier-Kalender handelt.
Winter – Dálvvie
Wenn sich dicke Schnee- und Eisschichten über Lappland legen, ist es für die Samen ein Schutzteppich für das Erdreich. In der «Jahreszeit der Pflege» ruht die Natur und verlangsamt das Tempo aller, die in ihr leben. Auch die Rentiere kommen kaum noch durch den hohen Schnee und müssen sich ihr Futter kraftaufwendig freischarren. Das Ende des Winters beginnt, wenn die ersten Sonnenstrahlen am Himmel aufblitzen und hoffnungsvoll den Neuanfang verheissen.
Spätwinter – Gijrradálvvie
Mit zögerlichen Schritten erwacht die Natur im Spätwinter aus der Ruhephase. So heisst diese Periode bei den Samen auch «Jahreszeit des Erwachens». Die Rentiere finden nun wieder besser Nahrung, die vor allem die weiblichen Tiere dringend benötigen: Sie tragen neues Leben in sich und spüren, dass sie bald an jenen Ort zurückkehren werden, wo sie ihre Kälber gebären.
Frühling – Gijrra
Wenn die Eiszapfen schmelzen, als wären es Freudentränen der Frühlingsboten, ist die «Jahreszeit der Rückkehr» angebrochen. Das Erdreich bringt das Grün zurück und die Rentiere gebären ihre Kälber in sicheren Waldlichtungen, die sie Jahr für Jahr aufsuchen. Im Mai machen die Kälber ihre ersten Gehversuche und sammeln Kraft für die Wanderung durchs Leben.
Frühsommer – Gijrragiessie
In der Jahreszeit des Wachstums streckt sich die junge Natur langsam zum Himmel. Die noch kleinen Blätter der Bäume tanzen im wärmenden Wind. Ebenfalls zurück sind aber auch die Mücken. Die Samen treiben dann ihre Rentierherden auf die Gletscher im Fjäll, wo die Kälber in der Sicherheit ihrer Herde in Ruhe heranwachsen dürfen.
Sommer – Giessie
Im Sommer sind die Tage in Lappland lang – man hat also genug Zeit, über die Schönheit der Natur und das Leben nachzudenken. Die Rentiere können sich am Reichtum ihrer Umgebung satt essen und Fettreserven anlegen, um den kargen Winter zu überleben. Das Geweih wächst, der Bauch auch: Das macht auch die Hirten glücklich.
Spätsommer – Tjakttjagiessie
Im Spätsommer werden die Früchte des Sommers geerntet. Nebst der Jagd gilt es, die Vorratskammern zu füllen. Das Licht, die Wärme, die Sonne und der Regen schenken Obst, Beeren, Kräuter und Pilze. Die Ernte einzufahren heisst, die kulinarischen Schätze so zu konservieren, dass sie im Winter noch geniessbar sind. Schon bald zieht sich die Natur nämlich das bunte Herbstkleid an.
Herbst – Tjakttja
In der «Jahreszeit der Antriebskraft» kehrt langsam der Frost zurück – die Nebelschwaden legen sich über die Moore und ziehen durch die Wälder. Die Weiden werden gelb, der Boden ist ausgelaugt und bereit, sich zur Ruhe zu betten. Die Zeit der Dunkelheit – skábma – nähert sich: der Winter kommt. Die Rentiere pflanzen sich fort und bekommen ein dickeres Fell.
Frühwinter – Tjakttjadálvvie
Wenn die Sonne zum Abschied winkt und die Samen der Stille der ewigen Nacht überlassen werden, wandern die Rentiere auf ihre Winterweiden. Das Erdreich ruht nun wieder unter der glitzernden Schneedecke, während das Nordlicht magisch am Nachthimmel tanzt. Die Sterne leuchten in dieser Jahreszeit eisig klar und zeigen, dass es bald wieder anders wird.
Hast du selber mal Lust, bei den Samen Rentiere zu füttern, Rentierschlitten zu fahren oder den Rentierkälbern bei den ersten Schritten zuzuschauen?
Titelbild: Anna Öhlund / magebank.sweden.se