In einer lockeren Serie tauchen wir ein in die spannende Renngeschichte von Volvo. Das kompetitive Umfeld erwies sich als gutes Testfeld für neue Technologien und Materialien. Auftakt der Serie macht der legendäre Volvo PV 544.
1959 erfand Volvo nicht nur den Dreipunkt-Sicherheitsgurt, der zu den wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts zählt, es war auch das Jahr, in dem Volvo ein Werk-Rennteam gründete. An den Start ging der Volvo PV 544 mit den besten Rennfahrer/innen Schwedens – und Kenias.
Gunnar Andersson – der Chefpilot
Die erste grosse Rallye-Ära von Volvo begann mit Gunnar Andersson. Geboren wurde er nur drei Tage nachdem der erste Volvo ÖV4 das Licht der Welt erblickte – ebenfalls in Göteborg. Ein gutes Omen: 1958 gewann Andersson die schwedische Midnattssolsrallyt in einem privaten Volvo PV 444 und wurde mit dem PV 544 Rallye-Europameister. Auch fuhr er Langstrecken-Rennen, ebenfalls erfolgreich. 1959 wurde Andersson schwedischer Meister, während er 1960 die Rallyes in Argentinien und Deutschland gewann. Das qualifizierte ihn, das erste Volvo Werksteam zusammenzustellen. Er verpflichtete die besten Rennfahrer/innen Schwedens wie Tom Trana, Carl-Magnus Skogh, Sylvia Österberg, Ewy Rosquist sowie Bengt Söderström.
Ewy Rosqvist – die First Lady
Gunnar Andersson rekrutierte 1960 ebenfalls die später als Grand Dame des Rallyesports gefeierte Ewy Rosquist. Dies nachdem sie 1959 auf einem Volvo PV 544 erstmals den europäischen Rallye-Damen-Cup gewann. 1960 und 1961 wiederholte sie die Siege der Rallye-Damen-Cups sowie 1959 und 1961 den Coupe des Dames im internationalen Rallye-Sport.
Tom Trana – der wilde Reiter
Tom Trana wurde das Rennfieber in die Wiege gelegt. Schon sein Vater war ein Auto-Enthusiast, als Tom 1937 auf die Welt kam. Trana begann seine Karriere als Hobby-Rallyefahrer in den 1950er-Jahren mit einem umgebauten schwarzen Volvo PV 444 und einem Volvo P1800. Eigentlich war Tom Trana «nur» ein Volvo Mechaniker, der in seiner Freizeit schnelle Runden drehte. Sein ungestümer Fahrstil machte ihn schnell bekannt. Davon bekam Gunnar Andersson Wind und bot ihm 1963 einen Vertrag als Werksfahrer an. Seine Dankbarkeit zeigte Tom Trana dadurch, dass er in der gleichen Saison die RAC-Rallye von Grossbritannien gewann. Ein Jahr später wiederholte er diesen Gesamtsieg und gewann die schwedische Meisterschaft. 1964 triumphierte Tom Trana auf der legendären Rallye Akropolis. Es war der Höhepunkt für den Rennbuckel – und gleichzeitig sein Abschied. Der Nachfolger, der Amazon 122S, stand bereits in den Startlöchern.
Der krönende Abschluss – im zweiten Anlauf
Zum krönenden Abschluss der erfolgreichen PV 544 Rennserie wagte Volvo 1964 die ultimative Herausforderung: die East African Safari Rallye. Zur Material mordenden Rallye, die über Schotter-, Schlamm- und Sandpisten führte, schickte das Werksteam gleich vier weiss lackierte Rallye-Fahrzeuge mit einem leistungsgesteigerten B18-Motor. Der Rennbuckel hatte ausserdem eine verstärkte Vorderradaufhängung mit Zweirohr-Gasdruckstossstämpfern, vordere Scheibenbremsen, zwei Benzintanks sowie einen soliden Unterfahrschutz. Doch die härteste Rallye der Welt war 1964 noch gnadenloser als in den Vorjahren. Von 94 gestarteten Fahrzeugen erreichten nur 21 Teilnehmer die Ziellinie. Auch Tom Trana kam nicht ins Ziel und crashte seinen PV 544. Carl-Magnus Skogh war der einzige Volvo Fahrer, der bis zum Ende des Fünf-Tage-Marathons durchhielt – aber nicht innerhalb der Zeitlimite. Tom Tranas kaputter Volvo PV 544 verblieb in Afrika, beim kenianischen Importeur Amazon Motors.
Joginder Singh – die perfekte Heldengeschichte
Wo andere nur einen Haufen Schrott sehen, erkannte ein gewisser Joginder Singh die Chance seines Lebens. Mangels Geld einigte er sich mit Amazon Motors auf einen Abzahlungsvertrag. Zusammen mit seinem Bruder bereitete Joginder das demolierte Fahrzeug auf, das bereits zwei Motorsportsaisons hinter sich hatte. Niemand glaubte an einen Erfolg der Brüder; schliesslich floppte die vorjährige Teilnahme des Volvo Werkteams.
Aber niemand hatte mit der Cleverness der beiden Singh-Brüder gerechnet. So brachten sie beispielsweise am Heck des Volvo zwei Griffe an, an denen sich Beifahrer Jaswant festhielt, während er auf der Stossstange stand. Wenn sie auf schlammigen Strassen fuhren, hatten sie mit dieser menschlichen Traktionshilfe mehr Druck auf den Antriebsrädern.
Keiner konnte sie einholen – es war ein Start-Ziel-Sieg. Als die Singh-Brüder nach fünf Tagen in Nairobi die Ziellinie überquerten, kannte der Jubel der Zuschauer keine Grenzen. Sie siegten mit einem Vorsprung von 1 Stunde und 40 Minuten auf den Zweitplatzierten. Niemals wieder gewann ein Team mit grösserem Vorsprung als Joginder Singh – der seitdem «The Flying Sikh» genannt wird.
Spektakulärer hätte die Abschiedsparty nicht sein können: https://www.volvocars-news.ch/2020/07/06/der-fliegende-sikh-triumph-an-der-east-african-safari-rallye-1965/
Titelbild: Viking Rally 1960