Eigentlich hätte Anfang der 1980er-Jahre die Volvo 700er-Reihe die 200er-Modelle ablösen sollen. Doch wegen des anhaltenden Erfolges wurden beide Modellreihen parallel gebaut. So wurden die 740/760er-Modelle kurzerhand zur Oberklasse – und ebenfalls zum Verkaufsschlager.
Mehr Auto, weniger Gewicht: So lautete das Briefing für die Volvo 700er-Reihe, die 1982 mit dem Spitzenmodell, dem Volvo 760, eingeführt wurde. Mit dem grossen Sechszylinder positionierte sich die Modellreihe in der Oberklasse und hob sich damit nicht nur optisch von der Volvo 200er-Serie ab, die wegen grosser Nachfrage immer noch weitergebaut wurde.
Die ersten Konstruktionspläne für die neue 700er-Reihe schmiedete Volvo Cars bereits im Jahr 1975. 1978 kamen die ersten fahrbaren Prototypen auf die Strasse. Es folgte eine sehr gründliche Testperiode, in der die Testflotte über drei Millionen Kilometer auf drei Kontinenten zurücklegte – sowohl in den heissesten als auch in den kältesten Regionen der Welt.
Ecken und Kanten
1980 wurde schliesslich das Volvo Concept Car (VCC) präsentiert, welches das künftige Design der 740/760 vorwegnehmen wollte.
Während der frühen Entwicklungsphase wurden viele Designvorschläge diskutiert. Doch es sollte der legendäre Volvo Chefdesigner Jan Wilsgaard sein, der in der Entscheidungsrunde einen eigenen, bisher unbekannten Entwurf aus dem Ärmel schüttelte. Die Skizze zeigte messerscharfe Kanten, extrem gerade Linien und einen kastenförmigen Fahrgastraum. Damit kreierte Wilsgaard eine neue, faszinierende Karosserieform, eine neuartige Formensprache, die im Innenraum für ein grosszügiges Raumgefühl sorgte. Wegen seiner typischen, inzwischen kultigen Form erhielt diese Modellreihe in der Schweiz den Übernamen «Schneepflug».
Für die Entwicklung der Volvo 740/760 investierte Volvo Cars 3,5 Mrd. schwedische Kronen (ca. 500 Mio. Franken). Die neue Modellreihe sollte ein Meilenstein der neuen Technik-Epoche darstellen. Ebenfalls in der Produktion: Über 100 Industrieroboter machten die weitgehend automatisierte Fabrik im Volvo Werk Torslanda bei Göteborg zur damals modernsten Automobilfabrik der Welt.
Im Februar 1982 präsentierte der schwedische Premiumhersteller den Volvo 760 der Weltöffentlichkeit. Die Verkaufsstrategie war in typischer Volvo Manier von oben nach unten angelegt: Nach dem Volvo 760 folgte alsbald die optisch nahezu identische 740er-Baureihe als Vier- und Fünftürer.
Effizienz und Leichtbau in der Oberklasse
Die neue Modellreihe kam beim Publikum sofort gut an. Der Volvo 760 bot hohen Fahrkomfort und überzeugte durch beeindruckende Alltagstauglichkeit. Zu den Ausstattungs-Highlights gehörten unter anderem ein Automatikgetriebe, eine Klimaanlage, ein Schiebedach und eine Servolenkung.
Neben den klassischen Fahrzeugwerten wie Design und Leistungsvermögen standen nun verstärkt Merkmale wie Verlässlichkeit, Kraftstoffeffizienz, Langlebigkeit, Betriebsfähigkeit sowie Geräuschdämmung im Fokus. Das Gewicht selbst sollte leichter sein als jenes der 200er-Reihe und war es auch: 100 Kilogramm. Dies trotz des geregelten Drei-Wege-Katalysators und der bis zu 147 kW (200 PS) starken Motoren mit neuer Turbo- oder 16-Ventiltechnik.
Sicher ist sicher
Bei den Sicherheitstechnologien fuhr der Volvo 740 seiner Zeit soweit voraus, dass er noch im sechsten Produktionsjahr den Preis als «sicherstes Fahrzeug überhaupt» erhielt. Zu den Sicherheitsfeatures zählten in der Volvo 700er-Familie ABS, ein elektronisches Traktionskontrollsystem sowie ein in der Rückenlehne des mittleren Rücksitzes integrierter Kindersitz. Die Fahrgastzelle war so stabil, dass Volvo für Werbezwecke eine 740-GL-Limousine an der B-Säule über einer Person aufhängte.
Der 1984 präsentierte, preiswertere Volvo 740 wurde vom Fleck weg zum Publikumsliebling. Denn er war sowohl Familien-, Freizeit- als auch Arbeitsfahrzeug. Beim Gepäckvolumen setzte die Kombiversion mit 990 bis 2120 Litern neue Massstäbe. Der Kofferraum war so gross, dass man darin schlafen konnte. Der Grund aber, warum der Gepäckraum mit Teppich ausgelegt wurde, war wohl eher zugunsten der Lärmdämmung. Trotz der stolzen Abmessungen gehörten die Volvo 740/760 zu den handlichsten Fahrzeugen des Segments – der Wendekreis war mit 9,9 Metern so klein wie der eines Kompaktwagens.
Insgesamt wurden vom Volvo 740/760 Modell rund 1,25 Millionen Exemplare verkauft, bevor er im Herbst 1990 durch den Volvo 960 ersetzt wurde.