Nachhaltigkeit: Kein anderer Hersteller setzt das Thema so kompromisslos um wie Volvo Cars. Nebst der kompletten Elektrifizierung ersetzen innovative, nachhaltigen Materialien herkömmliche Kunststoffe und Lederinterieurs. Und das ist erst der Anfang, wie Nachhaltigkeitsdirektor Stuart Templar und Designchef Robin Page im Interview erzählen.
Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einen möglichst hohen Prozentsatz an elektrifizierten Autos anzukündigen, liegt im Trend – kaum ein Hersteller, der noch keine Nachhaltigkeitspläne vorgelegt hat. So kompromisslos wie Volvo zeigen sich aber die wenigsten. Nicht nur, dass die Schweden bereits ab 2030 gänzlich auf Verbrennungsmotoren und somit auch auf Hybridantriebe verzichten wollen – künftig sollen ihre E-Autos auch ohne Leder auskommen. Im Interview erklären Volvo Nachhaltigkeitsdirektor Stuart Templar und Designchef Robin Page, was es damit auf sich hat und welches die Alternativen sind.
Der Abschied vom Verbrennungsmotor ist eine Sache, aber von Leder abzusehen, klingt nach Luxusverzicht. Macht Ihre Premiumkundschaft mit?
Stuart Templar: Ja, denn immer mehr Menschen wünschen nachhaltige Produkte, unsere Kunden sind da keine Ausnahme. Der Absatz unserer elektrifizierten Recharge-Modelle hat sich 2020 fast verdoppelt und macht weltweit bereits 25 Prozent des Verkaufsvolumens aus, in Europa gar 50 Prozent. Doch mit Elektrifizierung allein ist es nicht getan – wir müssen uns mit allen Bereichen der Nachhaltigkeit befassen, auch mit der Achtung des Tierschutzes. Leder gegen nachhaltige, natürliche und recycelte Materialien auszutauschen, ist ein guter nächster Schritt und entspricht, wie wir feststellen, einem wachsenden Bedürfnis im Premiumsegment.
Die meisten Menschen konsumieren nach wie vor regelmässig Fleisch. Warum sollten sie ausgerechnet beim nicht so regelmässigen Autokauf aufs Tierwohl achten?
Stuart Templar: In einer Umfrage des Welfare Quality Network sagen 83 Prozent der Verbraucher in Schweden und 73 Prozent in Grossbritannien, dass ihnen Tierschutz wichtig ist. Die Nachfrage nach Lederalternativen steigt – bis 2025 wird der Markt für Kunstleder wohl 64 Milliarden Euro wert sein. Unabhängig von ihrem Fleischkonsum berücksichtigen die Leute beim Autokauf zunehmend Tierschutzfaktoren. Hinzu kommen Bedenken bezüglich der Umweltauswirkungen durch die Viehzucht. Wir teilen diese Bedenken und tragen mit unserem Angebot an Alternativen dazu bei, die Nachfrage nach Leder zu senken.
Können Sie die Umweltproblematik beim Leder kurz erläutern?
Stuart Templar: Schätzungen zufolge sind Nutztiere, hauptsächlich Rinder, für etwa 14 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich und tragen durch ihren Weidebedarf rund 36 Prozent zur landwirtschaftlichen Entwaldung insbesondere im Amazonas-Gebiet bei. Die Rohhäute, die wir heute für unsere Lederinterieurs verwenden, werden zwar verantwortungsbewusst als Nebenprodukt der Rindfleischindustrie gewonnen, doch wir wollen in Zukunft dem Tierschutz noch konsequenter gerecht werden und für eine geringere CO2-Belastung sorgen.
Als erstes komplett lederfreies Modell wurde Ende Jahr der C40 Recharge lanciert. Was zeichnet die verwendeten Materialien im Interieur aus?
Robin Page: Eine hochwertige und natürliche Alternative zu Leder sind Wollgemische, welche wir von Lieferanten beziehen, die für eine verantwortungsvolle Beschaffung zertifiziert sind. Im C40 Recharge – und übrigens auch im XC40 Recharge – debütieren zudem ein speziell entwickeltes Microtech-Material und ein weiches Wildleder-Textil aus recycelten PET-Flaschen. Diese neuen, ohne Tierleid hergestellten Premium-Materialien sind das Ergebnis jahrelanger Forschung, auf deren Grundlage wir künftig noch nachhaltigere Lederalternativen anbieten können.
Welches sind aus Ihrer Sicht die spannendsten Materialien der Zukunft?
Stuart Templar: In der nächsten Generation von Elektroautos werden wir das Material Nordico einführen, das noch mehr Rohstoffe aus biobasierten und recycelten Quellen enthält und einen 74 Prozent geringeren CO2-Fussabdruck aufweist als unser ohnehin schon verantwortungsvoll produziertes Leder.
Robin Page: Als Premium-Alternative zu Leder wird Nordico auf alle Fälle eine bedeutende Rolle spielen. Ein weiteres Material, das ich spannend finde, ist Flachs. Er hat sowohl in Bezug auf die Festigkeit als auch bei der Leichtigkeit hervorragende Eigenschaften, und da er auf Leinen basiert, überzeugt er auch hinsichtlich Natürlichkeit und Nachhaltigkeit. Hochinteressant ist zudem die Technik des 3D-Strickens, die einen Mix aus vielfältigen Texturen und Farben erlaubt und viel Spielraum für Kreativität lässt. Das grösste Potenzial sehen wir aber in natürlichen Materialien, die sich wieder in den Boden zurückführen lassen – damit haben wir die volle Zirkularität.
Nebst Volvo und anderen Autobauern werben immer mehr Unternehmen mit nachhaltigen Materialien, auch im niedrigpreisigen Segment wie H&M und Ikea. Droht dem Versprechen damit ein Glaubwürdigkeitsverlust?
Stuart Templar: Nicht unbedingt, solange die beworbenen Materialien tatsächlich nachhaltiger sind als die herkömmlichen. Entscheidend ist, dass sich dies den Kunden beweisen lässt.
Wie stellen Sie bei Volvo Cars sicher, dass Ihre Materialien nachhaltig sind?
Robin Page: Wir stellen in den Lieferantenverträgen klare Anforderungen an den Tierschutz und die Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe, führen jährlich Stichprobenkontrollen durch und verfolgen etwa auch bei unseren Wolllieferanten die Lieferketten bis zum Bauernhof zurück. Ein von uns veröffentlichter Bericht zeigt sehr transparent auf, wie wir uns engagieren und wo wir noch mit Herausforderungen kämpfen.
Können Sie eine solche Herausforderung benennen?
Stuart Templar: Der Verzicht auf Leder ist ein Schritt in die richtige Richtung, der automobile Innenraum wird dadurch aber noch nicht vegan. Unser Ziel lautet, auch die Verwendung von Restprodukten aus der Tierhaltung zu reduzieren, die üblicherweise bei der Herstellung von Kunststoffen, Gummi, Schmier- oder Klebstoffen verwendet werden. Es ist keine leichte Aufgabe, Produkte und Materialien zu finden, die das Tierwohl unterstützen. Aber das ist kein Grund, dieses wichtige Thema zu meiden.